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Spitex-Geschichte einer Pflegefachfrau

Silvia Bründler, dipl. Pflegefachfrau HF, Stv. Teamleiterin

Mittwoch, 22. März 2023, 10.56 Uhr


In meinem Auto sitzend, atme ich einmal tief durch und lasse die letzten drei Stunden Revue passieren. Meine Gedanken schwenken zu der 82-jährigen Nidwaldnerin, die ich seit vier Jahren mitgepflegt hatte. Die Spitex war jeweils täglich zweimal bei ihr. Morgens haben wir bei der Körperpflege geholfen, die Vitalwerte geprüft, das Medikamentenmanagement erledigt und ihr die Stützstrümpfe angezogen. Ab und zu war auch mal ein Verbandswechsel nötig. Für diese Aufgaben brauchte ich oder jemand anderes aus meinem Team jeweils 45 bis 60 Minuten. Auch abends waren wir nochmals rund eine halbe Stunde bei ihr und haben sie «bettfertig» gemacht.


Heute habe ich sie zum letzten Mal gepflegt. Sie ist während meines Einsatzes und im Beisein ihres Ehemannes und der Töchter gestorben. Ihr Zustand hatte sich vor drei Wochen schleichend verschlechtert. Die letzte Woche hatte die Seniorin nur noch im Bett verbracht. Ihr Lebensende war absehbar. Glücklicherweise konnte ich mit den Angehörigen offen darüber sprechen. Gemeinsam haben wir einen Notfallplan erstellt und auch die Broschüre «Beratung am Lebensende» haben sie gerne entgegengenommen. Zudem habe ich die Angehörigen wissen lassen, dass die Spitex in engem Kontakt mit dem Hausarzt steht und wir jederzeit für Fragen da sind.


Als ich heute Morgen ins Zimmer kam, hatte ich gleich festgestellt, dass dies die letzten Atemzüge der 82-jährigen sein werden. Ich war seit etwa 20 Minuten dort, als sie gehen durfte. Währenddem die Familie sich von ihr verabschiedet hatte, informierte ich den Hausarzt. Er wird vorbeikommen und den Tod bestätigen. Auch hatte ich mit meiner Teamleiterin Rücksprache genommen. Sie wird meine nächsten Einsätze delegieren, sodass ich mir Zeit für die Familie nehmen kann. Zusammen mit dem Ehemann hatte ich die Verstorbene gewaschen und die gewünschten Kleider angezogen. Auch einige Formalitäten waren noch zu regeln.


Einen Menschen gehen zu lassen, den ich mitgepflegt habe, geht nicht spurlos an mir vorbei. Manchmal sind es Kratzer, manchmal greifen diese Spuren tiefer. In den folgenden Tagen werde ich Gelegenheit haben, mich mit meinen Arbeitskolleginnen und -kollegen auszutauschen. Das ist sehr wertvoll. In meinem Herzen spüre ich nebst der Trauer auch ein wenig Glück. Denn mit meiner Arbeit konnte ich einer Frau den Wunsch erfüllen, daheim und im Kreise ihrer Liebsten zu sterben.


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